Um 2 anne „Köttelbecke“ – eine kleine Geschichte von den „Schmuddelkindern“
1958 - 1962Meine alte Heimat ist der Ruhrpott. Aufgewachsen bin ich an der Stadtgrenze zwischen Gelsenkirchen-Horst und Essen-Karnap ab 1951. Meine Schwester und ich, 6 und 8 Jahre alt, wuchsen sehr behütet einerseits und auch mit großer Freiheit andererseits auf. Diese seltsame Erziehungsmischung führten wir in späteren Gesprächen auf die Kriegserlebnisse unserer jungen Eltern zurück. Hinter dem großen Mietshaus, in dem wir genau zwei Zimmer bewohnten, im Anschluß an Ställe für Kaninchen und Hühner und Gärten für Gemüse aller Bewohner, lag tief in einem Betonbett ein Abwasserkanal. Für uns Kinder war er die „kleine Emscher“ oder auch die „Köttelbecke“. Und genau dort, an der Stadtgrenze, trafen sich die Horster und die Karnaper Kinder nach der Schule. Kurz schauen, ob irgendwo ein Schäfer mit einigen Schafen die tiefen Grasböschungen besuchte – wenn alles frei war, ging es flott über den Stacheldraht. Schon liefen wir dorthin, wo in einem stinkigen Auffangbecken die beiden mächtigen Abflußrohre aus der Tiefe steckten. Der Gestank aus dieser Kloake war für uns normal und nicht auffälliger, als der von Kohlenstaub und Ruß. Inmitten von Löwenzahn und Gänseblümchen führte die Köttelbecke ihr Abwasser Richtung Kläranlagen ab und später wohl zur großen Emscher, die neben dem Rhein-Herne-Kanal floß. Wir Kinder hatten aber ganz andere Interessen an diesem Wasserlauf! Es kam für uns darauf an, im Zick-Zack-Lauf blitzschnell von der einen Seite übers Wasser auf die andere zu rennen, zu jagen, sich zu verfolgen. Herrliches Spiel! Flog schon mal ein Schuh hinein, wurde er unter großem Getöse herausgeangelt. In regelmäßigen Abständen horchten wir an den großen Abflußrohren, auf dem glitschigen Rand stehend, und sicher nicht ungefährlich, ob in der Tiefe die Pumpen ansprangen. Wenn sich das Geräusch der anspringenden Pumpen vernehmen ließ, liefen alle Kinder schnell zum Betonbett der Köttelbecke. Hier bauten wir geschickt mit den Händen auf der einen und den Füßen auf der anderen Seite des Wassers eine Brücke und erwarteten den kräftigen Wasserschwall, der sich nun aus den Rohren in die Köttelbecke ergoß. Wir hielten es aus, bis nur noch wenig Wasser dahinfloß und die Pumpen ihre Arbeit beendet hatten. Man kann sich ja denken, was alles so unter uns dahin floß, es waren die Abwässer der Bergleute aus unseren Kohlegruben. Darüber habe ich mir viel später erst Gedanken gemacht. Damals, 1959, war es nur ein herrliches, wildes, wenn auch verbotenes Spiel für uns. Meine Schwester und ich, heute 65 und 63 Jahre alt, haben keinerlei Allergien oder gesundheitliche Probleme. Ich glaube, dieser außergewöhnliche Spielort hat uns für den Rest unseres Lebens resistent gemacht.
Viele Grüße und viel Erfolg beim Sammeln der Geschichten wünscht Marianne Haverland aus Schwerte an der Ruhr.
1 Kommentar
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Erinnerung der Schwester
Danke für die treffende Darstellung dieser so beliebten Spiele und der Freiheit, die ich den heutigen Kindern auch wünschen würde. Wunderbare Erinnerungen schließen sich an,denn tatsächlich kannten wir jede schöne und jede finstere Seite des Kohlenpotts. Für uns gab es so viele schöne Seiten, Konzerte am Schloß, Bauer Dickmilch am Rosenhügel, Schloß und Park Wittringen, Zoos, den Kanal und den Halterner See – damals fast noch menschenleer, da nur wenige Familien ein Auto besaßen, um nur einige Ziele zu nennen. Ich wünsche dem Ruhrgebiet den Aufstieg, den es auf jeden Fall verdient hat