Die Humboldtschule in Hamborn

1907 und 2007

Das Schulgebäude und seine geschichtlichen Hintergründe

Im Jahre 2007 feierte die Humboldtschule ihr hundertjähriges Bestehen. Ich habe sie als „Katholische Volksschule an der Humboldstraße“ kennen gelernt. Eine Volksschule war noch in den fünfziger Jahren die einzige Schule, die ohne die Entrichtung von Schulgeld besucht werden konnte. Während für die weiterführenden Schulen wie Realschulen und Gymnasien ein monatliches Schulgeld für jedes Kind fällig war, war der Besuch der Volksschule kostenfrei. Im Gegensatz zu heute (2017) trug dieser Schultyp seinen Namen zu Recht: Er wurde von weit über 90% aller schulpflichtigen Kinder besucht. Die Schulpflicht in den fünfziger Jahren galt bis zum Alter von 14 Jahren! An diese Schulzeit schloß sich in der Regel eine Lehre an, so daß die meisten jungen Leute ihre berufliche Laufbahn nicht nur mit 14 Jahren begannen, sondern auch schon mit 17 vollwertige Mitarbeiter eines Betriebes waren. (Auf ihre Volljährigkeit mußten sie hingegen noch weitere 4 Jahre warten. Sie galten erst mit 21 Jahren als erwachsen, obwohl junge Männer ab 18 Jahren schon zum Wehrdienst herangezogen wurden.) Da in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre und der ersten Hälfte der sechziger Jahre in Westdeutschland Vollbeschäftigung herrschte, konnte ein Arbeitnehmer, wenn er es denn gesundheitlich so weit gebracht hatte, mit 65 Jahren nach einem Berufsleben von 51 Jahren mit den Beiträgen zur Sozialversicherung in Rente gehen.
Der Besuch einer weiterführenden Schule war eine große Ausnahme. Wenn ein Schüler (oder natürlich auch eine Schülerin) die Realschule oder das Gymnasium besuchen sollte, mußte für ihn nicht nur Schulgeld bezahlt werden (20 DM oder 10 DM monatlich klingt nicht nach viel für den Besuch des Gymnasiums, doch er machte oft 5% eines Monatsgehaltes aus, von dem oft mehrere Geschwister zu ernähren waren!), sondern er mußte ebenso eine Aufnahmeprüfung bestehen. In einer solchen Aufnahmeprüfung wurden zwei Tage lang die Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Fächern Deutsch und Rechnen (Letzteres nennt man heutzutage wohl ein bißchen hochtrabend Mathematik.) geprüft. Es wurde ein Diktat und ein Aufsatz geschrieben und der Prüfling mußte sowohl seine Fertigkeiten und sein Verständnis im Lösen von Textaufgaben und schriftlicher Multiplikation als auch der schriftlichen Division mit bis zu dreistelligem Divisor beweisen. Wer die schriftliche und die mündliche Prüfung bestand, durfte die weiterführende Schule besuchen, vorausgesetzt, seine Eltern konnten das Schulgeld hinterlegen. Trotzdem blieben am Ende der Schulzeit nur wenige Schüler übrig, die mit neunzehn Jahren das Abitur, die sogenannte „Reifeprüfung“ ablegen konnten. Dieses Abitur allerdings berechtigte ohne Einschränkung zum Studium beliebiger Fächer. Einen Numerus Clausus gab es nicht, denn durch die hohen Hürden auf dem Weg ins Gymnasium war der Zugang zum Studium etwas Besonderes. Entsprechend war ein erfolgreich abgeschlossenes Studium eine Garantie für ein abgesichertes Berufsleben. Das änderte sich erst allmählich in der zweiten Hälfte der sechziger und vor allem in den siebziger Jahren. Im Gegensatz zu den Volksschulen, die sehr oft konfessionell gebunden waren, waren die weiterführenden Schulen vor allem überkonfessionell.
Wer eine Handwerkslehre machte als Maler, Klempner, Schlosser, Tischler oder Elektriker usw. wurde von seinem Meistern mit einem zweirädrigen Schubkarren zu seiner Baustelle geschickt. Die mußte polternd zu Fuß über Kopfsteinpflaster oder über nur geschotterte Straßen geschoben werden. Erst nach und nach erwarben Kleinbetriebe einen PKW. Der diente dem Meister nicht nur privat am Wochenende, sondern während der Woche als Firmenwagen, mit dem Gesellen und Material transportiert wurden. Für solche kleinen Betriebe wie auch kleine Lebensmittelläden waren die sogenannten „Kombis“ sehr interessant, Limousinen mit einer bis ans Fahrzeugende durchgezogenen Kabine. Das sorgte für einen großen Kofferraum. Die Arbeitsstellen waren oft nicht weit von der Wohnung und sie wurden zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder mit dem bei Arbeitern und Kumpels beliebten Moped erreicht, das eine blaugraue stinkende Fahne aus dem Auspuff hinterließ. Die bestand nicht nur aus den Verbrennungsprodukten und den unverbrannten Anteilen des Benzins, sondern auch aus dem unverbrannten Öl aus der Zweitaktermischung. Staus gab es noch nicht und die Bundesstraßen konnten noch fast gefahrlos an beliebigen Stellen von Fußgängern überquert werden. Ampelanlagen waren entsprechend selten. Ebenso die Autos.
Wer eines besaß, konnte wirklich alle Wege mit dem Auto zurücklegen, weil es praktisch möglich war, überall zu parken. Doch der Besitz eines Autos war so selten, daß sowohl die Schüler als auch die Lehrer ihre Schule vor allen Dingen zu Fuß erreichten. Andererseits war es möglich, im meterspurigen Netz der Straßenbahnen (das noch in den Fünfzigern und Sechzigern ein Netz war, das diesen Namen noch verdiente) das Ruhrbegiet durchgehend von Hamborn bis nach Dortmund zu durchqueren. (Die Stadt Duisburg, zu der Hamborn spätestens seit 1935 gehört, benutzte für ihre Straßenbahnen wie Düsseldorf und Köln von Anfang an ein Normalspurnetz!)
Die kalte Jahreszeit war zu sehen und zu riechen. Wenn die Kohleöfen befeuert wurden, kräuselte sich aus den Schornsteinen der Häuser dichter, weißbrauner Qualm, der einen brenzligen Geruch verbreitete, der in den Wohngebieten die Gerüche von Kokereien und Hütten überdeckte. Auch neue Häuser wurden noch mit Kaminen für eine Ofenheizung gebaut. Oft sorgte ein mit Stadtgas betriebener Durchlauferhitzer für warmes Wasser im Badezimmer. Ein Zentralheizung gab es nur in öffentlichen Gebäuden. Die wurde dann gerne mit Koks betrieben (nicht etwa, wie junge Leute heute glauben mögen mit dem Rauschgift Kokain, sondern mit dem gleichen Material aus fast reinem Kohlenstoff, das in den Kokereien zum Betrieb der Hüttenwerke hergestellt wurde!). Der Hüttenkoks brannte wesentlich sauberer ab als Hausbrandkohle. Die erreichte Temperatur war hoch genug, daß sich über der glühenden Kohle oft eine fahlblaue Flamme von Kohlenstoffmonoxid bildete. Der Samstag war weder arbeits- noch schulfrei.
Zwar ist die Landgemeinde Hamborn am Rhein schon gewachsen, nachdem die Zinkhütte und das Bergwerk nach Abteufung von Schacht 1 im Jahre 1876 den Betrieb aufnahmen, einen bedeutenden Wachstumsschub gab es aber vor allem im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Dieses dramatische Wachstum setzte ein, nachdem August Thyssen das Gelände am Rhein für den Aufbau seiner Hütte erwarb. 1891 setzte er zunächst ein Siemens-Martin-Stahlwerk in Betrieb. In manchem der Folgejahre wuchs die hamborner Bevölkerung um mehr als 10 000 Menschen. Das waren nicht nur Arbeiter, die in die Industriewerke drängten weil sie sich auf dem Land nicht mehr ernähren konnten, sondern das waren auch ihre Frauen und Kinder. Maurer waren nötig, die die Häuser und Wohnungen bauten und natürlich waren auch Kirchen, Schulen und Krankenhäuser. In dieser Zeit spalteten sich neue Kirchengemeinden von der auf das Mittelalter zurückgehenden Kirche St. Johann ab, die als Klosterkirche aus einer Stiftung von Gerhard von Hochstaden (1136) hervorging. Im Gegensatz zur Stadt Duisburg (wo die alte Salvatorkirche schon in der Zeit der Reformation umgewidmet wurde und die früh eine Zuflucht für in ihrer Heimat verfolgte Protestanten wie Gerhard Mercator wurde), hat es vor der Industrialisierung in Hamborn nur katholische Gemeinde gegeben. Mit dem Wachstum der Stadt Hamborn änderte sich das. Der Bau zweier neugotischer evangelischer Kirchen wurde von neu gegründeten Kirchengemeinden betrieben. Sowohl das St. Johanneshospital mit seiner monumentalen Figur von Johannes dem Täufer auf dem Rundbau als auch das St. Barbarakrankenhaus in Neumühl sowie das evangelische Morianstift (heute: Evangelische Krankenanstalten Duisburg-Nord) sind kirchliche Krankenhausgründungen. Die wachsende Stadt mußte natürlich auch für die Bildung sorgen. Sowohl Hamborn als Teil des Herzogtums Kleve als auch die von Rudolf von Habsburg an die Herzöge von Kleve verpfändete bis dahin freie Reichs- und Hansestadt Duisburg (Immerhin läßt sich diese Stadt sogar auf einen Königshof der fränkischen Wanderkönige zurückführen!) kamen im 17. Jahrhundert zu Preußen, wo es etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts eine allgemeine Schulpflicht gab. Dazu schreibt Wikipedia am 26.11.2017: „Die Principia regulativa des Königs Friedrich Wilhelm I. vom 28. September 1717 wurden für ganz Preußen durch das Generallandschulreglement Friedrichs des Großen von 1763 bestätigt.“ Dafür, daß dieser Pflicht nachgegangen werden konnte, hatte die Gemeinde Hamborn und ab 1911 die Großstadt Hamborn zu sorgen.
Trotz der großen Zahl der durch das dramatische Wachstum der Stadt erforderlichen nötiger Bauwerke hat sich die Stadt Hamborn im Jahre 1907 mit der Errichtung des Schulgebäudes derSchule an der Humboldtstraße eine besondere Mühe gegeben. Diese Schule ist nicht einfach nur ein Schulhaus, sondern es trägt auf seiner Fassade zahlreiche Stuckaturen, die allerdings von Schülern nur selten wahrgenommen werden obwohl sie sich ganz sicher auch an sie wenden. Richtig zur Geltung kommen sie auch erst nach verschiedenen Renovierungen, die das Gebäude statt in Zementgrau in gelber Fassadenfarbe hinterlassen haben.

Die Fotos:

01) Die Eingangs- und Straßenseite der Humboldtschule

02) Beispiel für eine Stuckverzierung unter der Dachrinne

03) Die Rückseite der Schule

04) – 13) Weitere Stuckverzierungen der Vorderseite

14) stillgelegtes Trinkwasserbecken

15) Schulhof auf der Rückseite mit Gymnastikhalle, ca. 1960 erbaut

16) alte Platane mit neuer Sporthalle von nach 2000

 

Eine Erinnerung von M. Andres

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