Blankenstein Aus: Erinnerungen
1944/45Es muss Spätherbst 1944 oder Frühjahr 1945 sein. Ich bin jetzt 8 Jahre alt, stehe am Fenster unserer Wohnung, schaue auf die Straße unter mir.
Eine lange Schar russischer Kriegsgefangener, sicher auch Zwangsarbeiter, zieht vorbei. Wachmannschaften, Soldaten mit dem Karabiner über der Schulter flankieren die vielfach zerlumpte Schar. Der Gang der Gefangenen ist schleppend, mühevoll, trotz der antreibenden Rufe der Wachmannschaften.
Es muss doch im Winter gewesen sein. Die Erinnerung sagt, es ist nass draußen und kalt. Es sind lange Züge mit frierenden russischen Gefangenen, die durch Blankenstein geführt werden, langsam schleichend, eine müde ausgehungerte, stumpf sich dahin schleppende Schar von Männern, bewacht von den Soldaten mit Karabinern über den Schultern. Ich bin bestürzt als Kind, leide mit und frage mich: Was geschieht da? Was ist mit den müden zerlumpten Männern? Wo werden sie hingebracht?
Da, ein Gefangener bricht plötzlich aus. In der Abfallkiste des kleinen Lebensmittelgeschäftes unter unserer Wohnung liegen faulende Steckrüben. Der arme, ausgehungerte Mann stürzt sich auf die faulenden Rüben und stopft sich mit beiden Händen in den Mund was er eben greifen kann. Da stürzt schon der Wachmann schimpfend heran, schlägt mit dem Gewehrkolben auf den armen, ausgehungerten Mann und treibt ihn fluchend in die Reihe zurück. Ich sehe das mit Entsetzen.
Da aber Tröstliches. Der Zug zieht müde weiter. Und dann sehe ich, ein deutscher Wachsoldat holt Brot und auch wohl Wurst aus einer Umhängetasche, greift zu einem Taschenmesser, teilt Brot und Wurst und reicht es wie selbstverständlich mit ruhiger Geste an die Gefangenen neben sich. Deren Dank kann ich nicht sehen, aber wohl erahnen. Das hebt den Schrecken des eben Gesehenen etwas auf, mildert das Entsetzen. Gott sei Dank! Auch das bleibt haften und prägt sich für immer ein.
1 Kommentar
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Eindringliche Erinnerung an Krieg und Gewalt
Es muss ein verstörendes Erlebnis gewesen sein, das hier so völlig präsent und nachvollziehbar geschildert wird.
Das Bild bringt Gewalt und Unterdrückung bis in die letzten Kriegsmonate in bestürzender Weise zum Ausdruck.