HipHop als musikalischer Erinnerungsort im Ruhrgebiet
Als 2010 das Jahr der europäischen Kulturhauptstadt Ruhrgebiet in Essen mit einer großen Festveranstaltung eröffnet wurde, schaffte es von den musikalischen Einlagen lediglich Herbert Grönemeyer in die überregionale Presse (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/festakt-kulturhauptstadt-ruhrgebiet-feiert-schlicht-und-stur-a-671044.html – 24.02.2017). Bezeichnend ist dies in zweierlei Hinsicht: Die Ruhrgebietsikone war und ist natürlich musikalischer Referenzpunkt mit weitreichender Bekanntheit – musste dadurch aber auch eine künstlerische Projektionsfläche bieten, die über eine strikte Assoziation mit dem Ruhrgebiet hinausging. Interessanterweise schaffte es ein anderer Beitrag auf der Eröffnungsveranstaltung lediglich in die Regionalzeitung (https://www.ruhrnachrichten.de/leben-und-erleben/kultur-region/Moderne-Poesie-uebers-Revier;art1541,819277 – 24.02.2017). Auf der Eröffnungsfeier trat mit Creutzfeld & Jakob eine HipHop-Gruppe aus Witten auf, die ihr 2005 aufgenommenes Lied „Kein schöner Land“ (Flipstar – Kein schöner Land, auf dem Sampler „Schwarzes Gold“, produziert vom Bochumer Label „Selfmade Records“, das den HipHop im Ruhrgebiet in seiner breite präsentieren sollte, https://www.youtube.com/watch?v=y9dk9LDCIE4 – 24.02.2017) neu vertonten.
Nun sprachen die Ruhrnachrichten mit Recht von der „junge[n] Musikszene“ im Ruhrgebiet, verkannten dabei aber, dass der Auftritt im Jahr 2010 eher den Kulminationspunkt einer Entwicklung, denn den Aufbruch zu neuen musikalischen Innovationen darstellte. Seit den späten 1980er und in den 1990er Jahren entwickelte sich im Ruhrgebiet – etwas zeitversetzt zur Entwicklung im restlichen Bundesgebiet – eine distinkte „HipHop Szene“, die sich durch Künstler(gruppen) wie die Ruhrpott AG „(„RAG“, Bochum), Too Strong (Dortmund), ABS (Wesel), Creutzfeld&Jakob (Witten) oder in den 2000er Jahren auch Snaga & Pillath (Gelsenkirchen) und verschiedene andere sehr lebendig zeigte.
Es ließe sich natürlich argumentieren, dass dies keine ruhrgebietsspezifische Entwicklung darstellt, sondern nur Teil der globalen „Erfolgsgeschichte“ des HipHop ist. Dies verkennt allerdings, dass sich der Ruhrgebiets-HipHop gerade durch die ihm inhärente Spannung zwischen kulturellem Selbstentwurf der vor allem 1990er Jahre und der industriellen Reminiszenz an das Ruhrgebiet der Hochindustrialisierung einerseits als erinnerungskulturelle Praxis, andererseits selber als Erinnerungsort zeigt.
Insofern, so ließe sich als These formulieren, stellte der HipHop aus dem Ruhrgebiet gerade für die so häufig apostrophierte „jüngere Generation“ eine Sozialisationsinstanz dar, die erinnerungskulturelle Topoi kulturell aufbereitete und musikalisch verbreitete (Beispielhaft Snaga & Pillath – R.U.H.R.P.O.T.T, auf dem Album „Aus Liebe zum Spiel“ (2007) https://www.youtube.com/watch?v=55194lUJw5I (24.02.2017) mit den Zeilen „Das hier ist Blut, Schweiß und Tränen auf Kohle geboren / Väter sind an Staublunge für die Kohle gestorben /Und als dank gab es n Tritt, keine Chance kein nichts / Keine Arbeit in Sicht, kein‘ der darüber spricht! / ’ne ganze Generation ausgebrannt ohne Licht / Und keiner hilft, dabei wär’s eure gottverdammte Pflicht!“). Interessant ist daran vor allem, dass diese Form der „vulgarisierten“ (im doppelten Sinne) Erinnerungskultur nicht den hochkulturellen und musealisierten Formen gewünschter regionaler Erinnerung entspricht, dabei aber, so lässt sich vermuten, eine beachtliche Reichweite hatte (je nachdem, ob man Online-Kommentare und Klicks als valide Quellenbasis akzeptiert). Natürlich gehört zu diesem sozio-kulturellen Selbstbild auch eine gehörige Portion Selbstinszenierung; nichtsdestotrotz scheint dem HipHop aus dem Ruhrgebiet bis heute eine Kanonisierung als regionspezifisches Kulturprodukt weitgehend verwehrt.
Insofern manifestieren sich in den gereimten Texten aus dem Ruhrgebiet mehrere überlagerte Zeitschichten: die industrielle Vergangenheit und ihre generationelle Wiederaneignung durch eine spezifische soziale und kulturelle Aktualisierung – die heute schon wieder Geschichte zu sein scheint. Der Ruhrgebiets-HipHop ist also ein Erinnerungsort, der sowohl die industrielle Vergangenheit als auch ihre spezifische subkulturelle Aneignung kommemoriert.
Vielleicht stammen die schönsten erinnerungskulturellen Zeilen ja tatsächlich von der RAG:
„Sitz‘ auf glühenden Kohlen, verfeuer‘ sie wie Schlotbarone, Hochöfen wickeln den Himmel in rote Banderolen /
Lauf wie Don Quichotte vor alten Riesen aus Schrott, Emotionen hielten Einzug wie Gelsen-Barock /
Es blättert die Fassade, Geisterorte werfen sich in Schale, die letzten Reservate: stillgelegte Denkmale.“
(Ruhrpott AG – Tief im Westen, auf dem Album „P.O.T.T.E.N.T.I.A.L“ (2003) https://www.youtube.com/watch?v=53smpwQ6BJU – 24.02.2017)
4 Bewertungen
Bewerte und schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
auf den Punkt
Ehrlich gesagt: Dieser Artikel sagt mir nicht viel. Möglicherweise hätte man ihn etwas kürzer fassen können und dafür mehr auf den Punkt bringen sollen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Hip-Hop einfach nicht meine Welt ist.
Vielfalt / verdammt gut!
Hip Hop ist auchnicht unbedingt meine Musik, aber der Beitrag ist großartig. Unsere Region lebt von der Vielfalt, auch von der kulturellen, und bei all der Grubenfolklore, die hier in diesen Seiten zwangsläufig auftaucht, tut es verdammt gut, wenn sich auch die Fraktion der Hip Hopper meldet. Darüber hinaus ist das Ding hier verdammt gt verfasst.
Repräsentation des Unterrepräsentierten
Toll, eine differenzierte Analyse dessen, was sich ansonsten lediglich an dunklen Veranstaltungsorten bei vibrierenden Beats Bahn bricht. Das beschriebene Gefühl, die Bewältingsstrategie der Musik und eine Szene, die vielen Orientierung an Ideen, Möglichkeiten und Hoffnung gegeben hat, wird hier in den Fokus gerückt.
Eine Erinnerung sicherlich für viele, die im Pott in den letzten Jahren aufgewachsen sind und sich in Projekten wie diesem sonst kaum repräsentiert finden.
Auf den zweiten Blick. Alternative Kultur im Revier
Hiphop liegt nicht in meinem Blickfeld und ich habe Deinen Beitrag zunächst übersehen. Ich wusste nicht, dass es ruhrgebietsspezifischen Rap gibt. Danke für die Ausleuchtung dieser alternativen Kuturszene. Den voranstehenden Kommentaren von Jens Gelbhaar und Till Christofzik kann ich mich nur anschließen.