Rosa Nelken

Neunzehnhunderfünziger Jahre

 

Kann man sich heute wohl kaum vorstellen, mit fünf Nelken auf einer Geburtstagsfeier aufzukreuzen, oder? Offen gestanden, ich auch nicht. Was sollen denn bloß die Anderen denken, wo man doch heutzutage mindestens zwanzig Euro für etwas Ausgefallenes ausgeben muss. Zum Beispiel für ein in sich verschlungenes Gebinde, welches unauffällig die am zarten Stängel geknickte Blüte aufrecht hält. Nicht etwa, dass ich die blumenbindende Kunst mit ihren aufwertenden, riesigen Papiermanschetten abwerten möchte, aber ich, für meine Person, zähle mich zu den echten Blumenfreunden. Von daher weiß ich einen klassisch gebunden Feld- Wald und Wiesenstrauß wirklich zu schätzen und sei er noch so klein.
Die wilde Schönheit der Wiesenblumen hatte es mir schon als Kind angetan, sowie die prachtvolle Vielfalt in Nachbars Garten. Deshalb überraschte ich auch Mutter an ihrem Geburtstag im schönen Monat Mai, meistens mit einem liebevoll, selbstgepflückten Strauß. Als Vase diente eine ausgediente, leicht angeschlagene Kaffeekanne, die ganz genau auf den von Uroma hinterlassenen Küchentisch passte. In Wertschätzung wusste Mutter natürlich das antike Möbelstück unter einem selbstgenähten Riesentischtuch zu schonen, welches sie an ihrem besonderen Tag gegen eine frischgesteifte, weiße Damasttischdecke austauschte. Schon Tage vor der Feier scheute sie keine Mühe, ihre wenig geladenen Gäste nach allen Regeln der Kochkunst, vielleicht auch eher Backkunst, zu verwöhnen und den kleinen Haushalt völlig auf den Kopf zu stellen. Dass sie für eine blitzblanke Ofenplatte größte Kraftanstrengung in Kauf nahm, war genauso selbstverständlich wie das Bohnern des Fußbodens. Was für eine Freude, wenn ich mich wegen verstärkter Druckeinwirkung auf den Bohner-Besen stellen durfte, dem alten Belag seinen verborgenen Glanz abzugewinnen. Hin und her schob mich Mutter auf dem klotzigen Besen durch die Wohnküche und freute sich wie ein Kind mit mir. Als stolze Hausfrau wusste sie ganz genau worauf es ankam, angefangen vom Großreinemachen bis hin zur Vorbereitung fürs Essen. Und wehe dem, die Milch kochte über, kurz bevor Besuch in der Haustür stand, dann war aber Hängen im Schacht. Ich erinnere mich noch recht gut an das Szenario, als Mutter tränenüberströmt versuchte die angekniestete Milch von der frischpolierten Herdplatte zu kratzen. Fürchterlicher Gestank verbreitete sich im ganzen Haus, was sie noch ärgerlicher machte. Bestimmt galt der Ärger nur ihr selbst, da sie schließlich hätte besser aufpassen müssen, Gott lob blieb wenigstens der Fußboden verschont.

Beim Eindecken der Kaffeetafel riss ich mich förmlich darum ihr behilflich zu sein. Sammelgedecke ringsherum auf dem Tisch zu platzieren fand ich ebenso interessant wie die Geschicklichkeit, mit der Mutter unglaublich steife Servietten faltete. Natürlich nicht zu vergleichen mit der heutigen Falttechnik, aber immerhin.
Schmeichelnd und gar nicht übertrieben lobte Vater ihre köstliche, selbstgemachte Buttercremetorte, welche seiner Meinung nach an Backkunst bei weitem alles übertraf. Ach je, wie enttäuscht er doch drein schaute, als Mutter unbeeindruckt von seinen Schmeicheleinheiten weder Torte noch Stachelbeerboden anschnitt. Hartherzig übersah sie auch meine verlangenden Augen, solange bis der von mir herbeigesehnte Kaffeebesuch eintraf und wir alle gemeinsam am Tisch saßen.

Mutter hatte sich hübsch zurechtgemacht und wirkte einfach umwerfend in dem fast neuen Kleid und der strahlendweißen Rüschenschürze. Mit ihrem einzigen knallroten Lippenstift, den ich mir auch ganz gern mal auslieh, betonte sie unauffällig die hohen Wangenknochen und natürlich ihren himmlisch geschwungenen Mund. Ich liebte es, wenn sie aussah wie ein Engel, vorausgesetzt aus ihrem Kopf wuchsen keine Lockenwickler, die ihrem Aussehen etwas Teuflisches verliehen. Vater konnte diesen komischen Dingern absolut nichts abgewinnen, dafür aber umso mehr dem tollen Ergebnis einer wirklich genialen Erfindung. Goldene Locken umschmeichelten ihr schmales Gesicht, dass es eine Freude war sie anzuschauen. Seit der Zeit nannte er sie verliebt Goldköpfchen, selbst dann noch, als silbrigglänzende Strähnen ihr Haar durchzogen.

Von der Straße her drang unüberhörbar die kräftige Stimme meines Lieblingsonkels durch die Haustür. Mutters Bruder ist mir noch deutlich als überaus lustiger Mensch in Erinnerung, der es verstand mit seiner guten Laune auch den Trübseligsten mitzureißen. In unermesslicher Freude über den Besuch kam es schon mal vor, dass ich über die viel zu schmale Treppe schneller unten ankam als mir lieb war und dem Onkel Hals über Kopf in die Arme fiel. Meine, über die heftige Begrüßung erschrockene Tante Margret reagierte spontan. Ausweichend sprang sie zur Seite, wobei sie ihren Jüngsten unbeabsichtigt umhaute. Klein-Herbert, das sprichwörtlichste Bürschchen damaliger Zeiten, zeigte allerdings nur wenig Verständnis für die Ausschreitung seiner Mutter. Prompt stimmte der Bengel ein schreckliches Heulkonzert an, wobei ihm Ulrich, der Ältere, brüderlich den Taktstock, beziehungsweise die Stange hielt. Und Onkel Herbert eine Standpauke, bis letztendlich Ruhe einkehrte.

Jenes lustige Bild habe ich noch genauso vor Augen wie die Nelken mit Asparagus, die wirklich an keinem Geburtstag fehlten. Mit ihrer speziellen Vorliebe für diese Blumenart, verlängerte Mutter deren Leben um mindestens zwei Tage durch Unterbringung im kühlen Schlafzimmer.

Dankend nahm sie auch an diesem Geburtstag fünf rosa Edelnelken mit Grün neben einem hübsch verpackten Geschenk von ihrer Schwägerin entgegen, bevor sie zu Tisch bat. Und anstatt es aber gleich auszupacken, spannte sie mich lieber auf die Folter. Mit beispielloser Rücksichtnahme auf die unerträgliche Neugier, fühlten sich meine beiden hochsensiblen Cousins für eine Lockerung des Zustandes verantwortlich. Das Unheil war nicht aufzuhalten und die Jungs fest entschlossen Verrat zu üben. Vom Schweregrad ihrer Aktion hatten sie keinen blassen Schimmer, dafür aber meine schamgerötete arme Tante Margret. Kein Wunder, denn Mutter erfuhr von den mit Kuchen vollgestopften Mäulern der Neffen, dass ihr eine hässliche Sammeltasse zuteil wurde. Erstanden hatte die Schwägerin das gute Stück von einer Nachbarin, fürs Flurputzen und Blumengießen während ihres Krankenhausaufenthaltes. „Na dann Prost“, versuchte Vater mit einem Kirschlikörchen die etwas niedergeschlagene Stimmung zu heben. Wie schlau, weil nach dem dritten Anlauf die Seelenbarometer gestiegen zeitgleich Peinlichkeitsempfindungen gefallen waren, sozusagen unterm Tisch. Was aber nicht bedeutet, dass über den liebenswerten Vorfall nie mehr gesprochen wurde. Zwar erst Jahre später und grundsätzlich nur zur Belustigung aller Beteiligten.

Für Tante Margret war Hilfe beim Abwasch nach dem delikaten Abendessen genauso so selbstverständlich wie das Schüsselchen selbstgemachten Kartoffelsalat zum Mitnehmen. Gerade erst gesättigt von Bockwürstchen und Mettschnittchen mit viel Zwiebeln, schwatzte Onkel Herbert seiner Schwester den restlichen Salat für die Arbeit ab.
Mit Rücksicht auf die Frühschicht bei den Bochumer Stahlwerken, verabschiedeten sich die Geburtstagsgäste, angetrieben durch die Tante nahezu hastig. Zwar hätten die Männer noch gerne einen kleinen geschnasselt, aber auch aber auch Mutter bestand mit Respekt vor der Grube auf pünktliches Zubettgehen. Ausgeschlafene Männer behielt sich die Zeche vor, Grund genug das Licht zeitig auszuknipsen.

 

Eine Erinnerung von Hildegard Grygierek

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