(Sacré-) Coeur für Ungläubige

1980er Jahre

Ein wichtiger Erinnerungsort meiner Jugend war die Dicothek „Sacre Coer“ in Dortmund-Husen.

Mit 15, als ich mein erstes Mofa bekam, konnte ich endlich auf die Suche nach der „großen“ Freiheit gehen und das elterliche Reihenhaus immer häufiger und länger verlassen. In Brackel wo ich zur Schule ging, landete ich durch Mitschüler in dem bei den Erwachsenen und der Britischen Militärpolizei zu recht berüchtigten Pub „Masterpiece“.
Aus dieser von Hasch und Bierdunst geschwängerten Höhle war es nur ein kleiner Schritt zu der noch berüchtigteren Dicothek Sacre Coer. Vor der Drogenphase in den 1980er Jahren soll es dort um 1970 auch Striptease-Vorführungen gegeben haben. Aber das war vor meiner Zeit.

Praktischer Weise führte eine Buslinie von meinem Elternhaus bis direkt vor die Disco. So verbrachte ich über viele Jahre fast jeden Abend in diesem unvergleichlichen Szeneladen. Nur Donnerstags war Ruhetag an dem ich meist nicht wusste was ich tun sollte. Andere Läden in Dortmund waren einfach nicht so cool wie das Coer!
Die Musik und der Sound waren unübertroffen gut. Die Ausstattung war genau so wie man das als zu spät geborener Hippie erwartete, mit phsychodelischen Wandmalereien und eigentlich seit der Eröffnung 1969 unverändert, woran auch der später auf dem Boden der Teestube verteilte Sand nichts wesentlich änderte.

Ein schönes Erlebnis hatte ich in diesem Zusammenhang Ende der Siebziger mit meinem Vater. Ich hatte einen Aufkleber vom Coeur mit nach Hause gebracht, auf dem am unteren Rand „Haus Lünenburger“ stand. Weil der Aufkleber plötzlich nicht mehr auffindbar war, frage ich meine Eltern nach dem Verbleib.
Mein Vater zog mich daraufhin mit sich in seine Kellerbar. Er zeigte mir mit zufriedener Mine die Stelle an seiner selbstgebauten Theke wo der Aufkleber prangte.
Auf meine verwunderte Frage, warum er sich in seinem Alter ausgerechnet so etwas an seine spießige Hausbar klebe, klärte er mich über seine Jugendsünden auf.
Als junger Mann in den 1950er Jahren war mein Vater regelmäßig von Dortmund aus am Wochenende mit dem Zug nach Husen gefahren, um das Tanzlokal „Haus Lünenburger“, das dort schon seit 1876 als Ausflugslokal und Vereinsheim existierte, unsicher zu machen.
Dort gab es seit den 1920er Jahren neben Tanzveranstaltungen auch Lichtspielvorführungen, Varieté und Kabarett.

Er freute sich also, dass ich eine alte Familientradition fortsetzte. Wenn er gewusst hätte, wie es in dem Laden zu meiner Zeit zuging, wäre seine Freude sicherlich gedämpfter ausgefallen…

In den 1980er Jahren wurde der Laden dann in „Paint House“ und noch später in „Lone Star Cafe“ umbenannt, was den langsamen Niedergang nicht aufhalten konnte. Auch ein in den 90er Jahren eröffneter Biergarten und warme Küche brachten nur einen kurzen Aufschwung.

Missmanagment, Unvermögen der Geschätsführung und zwischenzeitliche Schließung durch das Ordnungsamt führten schließlich dazu, dass das Traditionshaus heute, 140 Jahre nach seiner Gründung leer steht, und darauf wartet von einem Investor entkernt zu werden. Das Grundstück hinter dem Haus ist bereits abgeräumt, alle Bäume sind gefällt.
Nur der Aufkleber in der Kellerbar meines Vaters erinnert mich gelegentlich noch an die schönen Zeiten im Coer.

Ein kleiner Trost für mich ist, dass wenigstens das „Masterpiece“  heute immer noch existiert als eine der ältesten Kneipen Dortmunds !

Eine Erinnerung von Max.Neuland

13 Bewertungen

  1. Sehr schöne Erinnerung

    Danke für die schöne Erinnerung. Auch ich bin Ende der 80er Jahre oft im Sacre Coer gewesen. Super Musik in einer außergewöhnlichen Diskothek. Wenn man dort war, war man automatisch cool!
    Birgit Presch

  2. Kneipenschicksale

    Cool, dass die Fotos so gut dazu passen! Ein schöner Text. Bei uns gab es auch so eine Kneipenszene, allerdings zwischen den Dörfern und Städten, das waren oft weite Anfahrten. Blues- und Billardkneipe MUTTER BUSCH, tief im Wald in Hamminkeln, die OLD DADDY-Discos in Oberhausen-Sterkrade und in Duisburg Mitte, den SCHWARZEN ADLER und das ARATTA in Rheinberg, EKSTASE und POST in Wesel, alles in den frühen Achtzigern, und fast alle diese Läden hatten das gleiche Schicksal oder ein ganz ähnliches wie dein „Heiliges Herz“.

  3. Generationsübergreifend

    Zum ersten Mal sehe ich ältere Bilder aus besseren Zeiten dieses hübschen Gebäudes, welches ich als das „Paint House“ kennen lernen durfte. Viele schöne Konzerte in einem viel zu kleinen Raum mit Stützpfeilern, die die Sicht auf Bühne und Band verdeckten, fanden dort statt. In den frühen 2000ern hab ich dort das letzte Konzi meiner Lieblingsband gesehen und einen ganz besonderen Menschen kennen gelernt. Wenn ich heute daran vorbei fahre, tut es mir im Herzen weh, dass es nun mit ihm zuende geht…

  4. Endlich sehe ich mal was vom sacre coeur. Ich war damals auch in Brackel auf der Schule. Ich war aber noch etwas zu jung um nach dort zu fahren. ZUm Glück war ich dann doch alt genug für das Birds in der Innenstadt.

    Gisela

  5. Wurde das Sacre Coer wirklich in den 80ern schon in „Paint House“ umbenannt ???
    Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich noch in den 90ern ins „Sacre Coer“ gegangen bin….

    Gruß,
    Sloppie

  6. Ganz Toller Erinnerungen

    Wurde erst in den 90igern in Paint House umbenannt.
    Es hiess zwischenzeitlich auch mal Lone Star Café, aber das war soweit ich mich erinnern kann vor dem Paint House.

    Oh man, waren das Zeiten. Ich habe zwischenzeitlich mal in Husen gewohnt und habe eigentlich mehr oder weniger jedes Wochenende dort verbracht. Einfach nur geile Zeiten. Und wenn ich woanders feiern war, bin ich anschliessend noch ins Couer gegangen. War ja immer auf. Unvergesslich sind die Heiligabende im Couer gewesen. Auf die hat man sich quasi ab dem 25.12 gefreut. Tolle Menschen, tolle Stimmung.

    Irgendwann in den fruehen 2000ern merkte man schon den Niedergang. War dann noch ein paar Mal an Wochenende dort und habe es nur ein paar Minuten ausgehalten. War einfach nur noch daneben.

    Bin vor einiger Zeit zu Besuch in Dortmund gewesen und auch am Couer vorbeigekommen, Tut richtig weh das zu sehen.

  7. Viele viele Erinnerungen....

    Ich fuhr seiner Zeit (Anfang der 70er) regelmäßig vom Dörfchen „Wickede/Ruhr“ ins sacre coeur. Welch eine Zeit! Und wie die sich verändert hat.

    Vielen Dank für die Erinnerungen. Leider existieren nur sehr sehr wenige bildlichen Zeitzeugen. Wie gern würde ich nochmal das Innere von damals sehen können. Die Eindrücke sind mittlerweile zu sehr verschwommen…

  8. Unvergesslich

    Nachdem das unvergleichliche Arnsberger „Easy“ dauerhaft geschlossen war, lernte ich das „Sacre Couer“/“ Paint House“ kennen und lieben. Wo, um Himmels Willen, gab es einen dermaßen mutigen und tollen Musikmix: Ravels „Bolero“, etwas Zappa, „CalIifornia Dreaming“ vom jungen Benson gespielt, 20 Minuten „Dark Side“
    gefolgt von Genesis z. B..? Der DJ sei herzlich belobigt – nachträglich!

    Unvergesslich auch die geschickten Bierschlepper mit ihren Straßenbahnschaffner… – na, wie heißen die Dinger?

    Eine wirklich geiler Laden in einer tollen Zeit. Unvergesslich.

  9. Stilbildend - für den Musikgeschmack!

    Wir waren in den späten 80ern praktisch immer mit der ganzen Oberstufe freitags hier. Bei Langeweile auch mal Samstags.
    In jedem Fall hat es meinen Musikgeschmack mitgeprägt – und zwar dauerhaft.
    Schade, dass der Niedergang dann so offensichtlich wurde.
    Aber die Erinnerungen bleiben….

    Es gab mal eine schicke Playlist von Musik/Videos ausm Coeur auf Youtube. Weiß jemand, wo die hin ist? Ich finde sie nicht mehr wieder.

  10. Good old times

    Das Coeur war für viele von uns fast ein zweites Zuhause. Seit meinem 16. Lebensjahr war ich fast täglich dort. Dafür habe ich, wie so viele Andere auch, keine Mühe gescheut um von Hamm aus dorthin zu kommen. Die Stammszene im Coeur war wie eine Familie. Es gab viele wunderbare Menschen dort, mit denen man die Nächte durchtanzen konnte und dann anschließend bei einem Kaffee und nen Stück Kuchen in der Teestube über Gott und die Welt diskutieren konnte. Ich war vor einer Woche zufällig in der Nähe und bin mal am Coeur vorbei gefahren. Das ganze Haus ist entkernt und wird umgebaut. Ein Investor hat es gekauft. Unten soll ein Cafe eröffnet werden. Von der alten Einrichtung ist nichts mehr vorhanden. Zum Glück kann man Erinnerungen nicht auch auf den Schutt karren.
    Zum Thema Paint House. Soweit ich weiß, hat das Coeur zwei Mal den Namen Paint House geführr.

  11. Danke für den tollen Beitrag, ein Exkurs in die Vergangenheit 🙂

    Das Sacre Coeur war auch für mich, die als 15 jährige Teenie-Frau ein 1. Mal dort auftauchte, ein 2. Zuhause.
    Ich konnte gar nicht schnell genug erwachsen werden und hatte es geliebt, dort unter all den späten Hippies für voll genommen zu werden.
    Das riesige Innere der Disco, wurde nur mit schummerigen Licht und einer Lichtorgel über der Tanzfläche beleuchtet, ansonsten war es dunkel & verwinkelt.
    Überall konnte man sich versteckt einen Joint anstecken.
    Auch erinnere ich mich, dass ich trotz meines kleinen Lehrling-Lohnes, die Preise für Getränke als annehmbar empfand.
    Nun, als junges hübsches Mädchen, musste man sich eh keine Gedanken ums nächste Getränk machen.
    Die Musik war super und hat meinen Geschmack in diese Richtung geprägt. Keine Ahnung wie viele Sohlen meiner Schuhe, ich dort auf der Tanzfläche abgenutzte.
    Die Besucher des Cours waren eine eingeschworene Clique,
    die mich wohlwollend aufnahm, eine Gemeinschaft in der mich verstanden fühlte und so richtig wohl.
    Das Sacre Coeur war eine große Bereicherung meiner Jugend,
    aber die Kontakte, die ich dort hatte,
    haben mich leider auf die schiefe Bahn gebracht;
    sowie mit Sicherheit auch viele andere junge Leute.
    Das ging soweit, dass der Kassierer am Eingang
    (ich erinnere mich, dass der Eintritt in den 70` 2,50 DM kostete mit Verzehr und nach circa 22 Uhr frei war)
    Pupillen-Kontrolle unternahm.
    Hatte man „Steckis“ (verengte Pupillen, was auf den Missbrauch von Heroin schließen ließ) kam man nicht hinein.
    Erwähnenswert ist die Uhrzeit, wann der Laden öffnete:
    bereits ab 19 Uhr war Eintritt!
    War ich erst mal drin, ging ich häufig in die Teestube um meinen Verzehr, in eine Tasse Tee mit einem Stück selbstgebackenem Kuchen, umzusetzen.
    Lange ist es her, aber noch immer so lebendig in meiner Erinnerung, dass ich heute noch genau weiß,
    was ich damals bei meinem 1. Besuch dort im Sommer 1975, an Kleidung trug. Die Mode bestimmte enge Jeans mit weiten Blusen.
    Freunde,
    das Coeur kommt nie zurück, genauso wenig die Zeit,
    aber die Erinnerungen daran, bleiben uns erhalten 🙂 Dankeschön

  12. Ähnliche Erfahrungen

    Ich habe ganz ähnliche Erinnerungen an diese Zeit. Mit 15 ne Mofa. Gewohnt und zur Schule gegangen in Brackel. Stammkneipe das Piece mit den beiden Blauen. Die machen das übrigens immer noch. Nachts dann ins Spirit oder ins Coer. Oder in den Keller mit dem legendären Erdbeer-Dieter als Kellner. Wahnsinn!

  13. Schöne Erinnerungen

    Wie schön – ich fühle mich in meine Jugendzeit versetzt. Hab das Coeur aber erst 1998 für mich entdeckt, da war ich zarte 17 Jahre alt. Meine Großeltern haben damals im „Haus Lüneberger“ getanzt, meine Eltern haben mir von den Drogenrazzien in den 80ern erzählt und dass nur deswegen Sand ausgestreut wurde – damit die Drogen schnell fallengelassen und unter den Sand geschoben werden konnte. Also, drei Generationen, die in diesem Gebäude einen wichtigen Teil ihres Lebens verbracht haben. Schöne Erinnerungen!
    Viele Grüße

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