Phönix aus dem Eisen

1960er - 1980er Jahre und 2016

Das ehemalige Hoesch-Stahlwerk „Phönix“ in Dortmund-Hörde ist für mich ein besonderer Erinnerungsort seit meiner frühsten Kindheit.

Obwohl ich im ca. sieben Kilometer entfernt gelegenen Vorort Aplerbeck aufgewachsen bin, war es fast jeden Tag für mich präsent. Tagsüber waren der riesige Hochofen und der noch grössere Gasometer deutlich am Horizont zu erkennen.

Besonders im Gegenlicht der untergehenden Sonne hielt ich das ganze in meiner kindlichen Phantasie für eine große Burg, in der ich mir Ritter und Burgfräulein vorstellte.

Wenn in der Vorweihnachtszeit der Himmel vom Abstich des Hochofens rot erglühte, erklärte mir meine Mutter oft, dass jetzt das Christkind die Weihnachtsplätzchen backe, was ich als dreijähriger nur zu gerne glauben wollte, da zudem  in der Nachbarschaft eine Plätzchenfabrik tatsächlich ihre leckeren Backgerüche verbreitete.

Ich kann mich auch noch gut daran erinnern wie ich als fast Erwachsener heimlich nachts auf dem verschneiten Werksparkplatz Schleuderübungen mit meinem ersten Auto gemacht habe. Im Sommer war dort auch ein guter Platz um mit meiner Freundin die Liegesitze in meinem Wagen auszuprobieren.

Mit dem selben Wagen habe ich dann 1981 meinen Vater, der auf Hoesch arbeitete, als Streikposten zum Werkstor gefahren. Die Gewerkschaft hatte zum Streik aufgerufen, weil wegen der Stahlkrise über 13.000 Beschäftige, das war die Hälfte der Belegschaft, entlassen werden sollte.
Geändert hat der Streik nichts am Personalabbau, und so ging mein Vater mit 55 in den Vorruhestand und ab da meiner Mutter auf den Wecker.

Im Jahr 1984 bin ich dann in die Herrmannstraße gezogen, die direkt am Werk Phönix vorbeiführt.
Von meinem Fenster aus hatte ich direkten Blick auf die „ewige Flamme“ wie wir die Fackel nannten, mit der überflüssiges Hochofengas abgefackelt wurde. Sie brannte so hell, das sie nachts mein Zimmer in ein kaminfeuerartiges Licht tauchte.

Am 18.1.1985 gab es dann in NRW den ersten Smogalarm der höchsten Stufe. Hoesch und andere große Luftverschmutzer mussten ihre Produktion vorübergehend einstellen. Der Autoverkehr wurde eingeschränkt. Die so genannten Smogplaketten eröffneten den Reigen des immer noch andauernden nutzlosen Plakettenunsinns.

In unserer WG entstand stattdessen der spontane Wunsch etwas konkretes gegen diesen atemberaubenden Nebelmief zu unternehmen. So entschlossen wir uns eine Spontandemonstration zu organisieren. Mit schnell fabrizierten Spruchbändern und telefonisch zusammengetrommelten Unterstützern zogen wir los und blockierten erfolgreich die größte Straßenkreuzung in Hörde.

Heute ist der Himmel über Hörde wieder blau und Hoesch ist Geschichte. Das Stahlwerk „Phönix Ost „ist mittlerweile spurlos verschwunden. An seiner Stelle ist der Phönixsee entstanden, auf den ich immer blicke, wenn ich aus dem Fenster der Praxis meiner Zahnärztin schaue.

Im Hafen dümpeln kleine Segelboote und entspannt wirkende Spaziergänger geniessen die Aussicht auf den künstlichen See.

Und ich frage mich, welche Erinnerungen sie wohl an diesen Ort haben?

Eine Erinnerung von Max.Neuland

6 Bewertungen

  1. Guten Tag,

    ich freue mich, das mein Beitrag ‚Phönix aus dem Eisen‘ heute schon online ist.
    Ich hätte auch gerne eine paar Fotos hochgeladen, was aber leider nicht möglich war.
    Kann man seinen Beitrag noch nachträglich mit Fotos versehen?

    Nun noch ein nicht ganz unwichtiger Hinweis:
    Sie haben den Erinnerungsort in der Eberhardstraße angesiedelt.
    Ich vermute, das Sie die Adresse gewählt haben, weil es die offizielle Adresse der Hoesch AG war?

    Das Werk Phönix Ost, über das ich geschrieben habe, befand sich jedoch dort wo heute der Phönixsee liegt.
    Das Haupttor des Werkes war in der Hermannstraße in Hörde.

    MfG
    Max.Neuland

    1. Hallo Max Neuland,

      bitte senden Sie Anfragen jeglicher Art an info@zeit-raeume.ruhr.

  2. schön

    Schön geschrieben!

  3. Interessante Geschichte

    Sehr anschaulich geschrieben…danke

  4. Ich vermisse den Phönix

    Auch für mich ist dieses Werk die eindringlichste Erinnerung an Kindheit und junges Erwachsenenalters. Auch mein Vater schaffte dort sein Leben lang. Irgendwie hatte ich auch damals schon ein Gefühl für das besondere, was dieses Werk mitten in der kleinen Stadt bedeutete. Die Geräusche, das Licht und die Gerüche, die von ihm ausgingen, insbesondere wenn es im Herbst und Winter kühl und feucht war. Ich bin so manches Mal (nicht ganz nüchtern) aus dem Cabaret Queue in den Dunst geschwankt und habe so bei mir gedacht. Mensch, nimm es war, präge es dir ein. Irgendwann, wird all das hier Geschichte sein, die einem die Leute, die es nicht selbst erlebt haben, nicht glauben werden.
    Ich vermisse den Phönix, echt, auch wenn das natürlich sehr romantisch ist.

  5. Ewige Flamme?

    Also, was die „ewige Flamme“ angeht, bin ich ein bißchen skeptisch. Wenn Gichtgas abgefackelt wurde (das zunächst vor allem zum Aufheizen der zu jedem Hochofen gehörenden drei Cowper-Türmen gebraucht wurde, die man auch Winderhitzer nennt), dann war das ein Gas, das als brennbaren Anteil Kohlenstoffmonoxid enthielt. Der Anteil an diesem Gas aber war im Gichtgas so gering, daß sich zumindest früher eine weitere Verwertung nicht lohnte. Da dieses Gas aber ein sehr wirksames Atemgift ist, hat man es verbrannt. Während des Hochofenbetriebs entsteht es fortwährend und dringt auch in die nächst Umgebung des Ofens. Da es geruchlos ist, kann man es nicht wahrnehmen. Deshalb darf man keinen Hochofen in Betrieb ohne Atemschutz gerät besteigen. Das Gichtgas selbst hat einen geringen Brennwert und verbrennt mit einer kaum leuchtenen fahlblauen Flamme. Ich kenne diese Flamme sehr gut. Ich habe sie eine Zeit lang fast jeden Tag beobachten können, wenn ich in der Dunkelheit mit dem Fahrrad aus Duisburg zurückkehrte und am Hochofenwerk Meiderich vorbei kam, das 1982 stillgelegt wurde. Dieses Werk steht noch heute und nennt sich „Landschaftspark Duisburg Nord“. Doch zurück zur Flamme. Wenn sie wirklich stark und hell geleuchtet hat, dann ist dort etwas anderes verbrannt worden als nur Gichtgas!

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