Subkulturen im Pott

2009

Wie man Vampire für Bildung für nachhaltige Entwicklung begeistern kann

Ein knapper Bericht in einer lokalen Zeitung des nördlichen Ruhrgebiets brachte es auf den Punkt: „Auch der Friedhof ist kein sicherer Ort mehr“. Nun helfen Printmedien schon lange nicht mehr, Fakten transparent zu kommunizieren, aber die Hintergründe des Artikels machten mich doch neugierig. Eine Gruppe von Vampiren haust seit geraumer Zeit außerhalb der regulären Öffnungszeiten auf dem städtischen Friedhof um dort „beängstigend zu agieren“. Von Lärm, Drogen und provozierendem erotischen Habitus war die Rede. Da der Friedhof auch als Naherholungsgebiet, Naturschutzfläche und Kulturort innerhalb der Städtischen Erfassung genannt wird, sah sich die kommunale Verwaltung genötigt einzuschreiten. Zum Schutze von Naherholungssuchenden sowie Pietät gegenüber dem nordeuropäischen Totenkult sollte ein Streetworker ausgesendet werden, als Hilfe im Gepäck die Kraft des weichen Dialoges. Alle städtischen und freien Träger, die fähige Streetworker beschäftigten, lehnten jedoch ab, da erstens keinerlei Kapazität vorhanden, die Gefahr nicht abschätzbar und wenn überhaupt wahrscheinlich keine vorhanden war.

Hip Hop mit Vampiren

Da kam jemand aus dem Kulturausschuss auf die geniale Idee, einen Kreativen zu den Schattenwesen zu senden. Vielleicht könnte ja eine Aktion mit einem Künstler, der die Vampire überredet, statt auf fremden Grabsteinen herumzuhängen, lieber ein legales Graffiti auf den Schallschutzwänden der A42 oder einen Hip-Hop-Tanz in bunten Kostümen zum diesjährigen Presseball zu inszenieren. Eiligst wurde ein Kulturpreis ausgeschrieben, an dem sich Sponsoren, eine Stiftung und die Stadt beteiligten. 300 Euro für die beste Idee und nochmal 300 Euro für die Durchführung (inkl. allem).

Begegnung im Eiscafé

Wir chronisch klammen Künstler fliegen ja bekannterweise auf solche Ausschreibungen wie die Fledermäuse zur Blutwurst. Es war zu erwarten, dass hunderte von Anträgen das Kulturamt überfluten und hunderte von hungrigen Kulturschaffenden den nächtlichen Friedhof im Zuge einer ersten Kontaktaufnahme bereisen würden. Bestenfalls würde das alleine schon die Vampire vertreiben. Blieb die Frage, ob den Kreativen dann der neu entdeckte Ort so gefallen würde, dass die Stadt ein neues Problem hätte. Aber das zu lösen wäre eine Aufgabe nach der Kommunalwahl. Nun hatte ich das Glück tagsüber unerwartet ein Vampirpaar im Eiscafé der Fußgängerzone anzutreffen, wo es wider Erwarten bei einem harmlosen Vanille-Mocca-Cup saß. Mich überraschte die elegante Art der beiden, was mir die Scheu nahm, sie direkt darauf anzusprechen, wo sie denn diese unglaublich aufwendige und mir unbekannte Mode herbekämen.

Aufwendige Mode selbst gefärbt

Die nähen sie selber, spitzen, paspeln, Samaransaumen doppelt plissiert, vierfache Applikationsnähte auf schwarzen Vinyl sauber gesetzt, war die Antwort. Ihr Schirmchen hatte sie von einem Flohmarkt in Amsterdam und seine spitzen Ammersons mit Brandsohle und handgenähtem Rahmen kamen von einem Secondhandladen aus Barcelona. Die Spitze finden sie auf Wochenmärkten in Belgien, Stoffe und Schnallen ebenfalls. Das alles wird dann daheim aufwendig gebleicht, vernäht, oder schwarzgefärbt. Und nein, das sei nicht ihr einziges Outfit, sagten die beiden und lachten erstmal lauthals, was ahnen ließ welche Schätze ihre Gruft noch beinhalten könnte. Sie macht gerade ihr Abi, aber ohne rechte Überzeugung, und er bekommt einen Job als Krankenpfleger. Eine Antwort auf das, was sie später mal machen wollten, hätten sie nicht.

Die beiden strahlten mit ihrem perfekten Makeup in „pale“ und „hardedge“ eine Eleganz und Würde aus, die es schwer machte, die beiden nicht anzustarren. Die „smokey eyes“ verliefen in einem pudrig retuschierten Bogen der Augenlider übergangslos in ein tiefschwarzes Kajal seiner fantastischen Wimpern, was seinem Augenaufschlag einen unglaublichen Effekt gab. Sie tupfte ihre blutrot geschminkten Lippen vom Vanilleeis ab und die Serviette verriet die Kussechtheit des Lippenstifts. Das war er, der Moment des Wechsels vom Begaffen ihres „wilden Lebens“ meinerseits zur Eröffnung eines transkulturellen Dialogs.

Meine Farben und Kosmetika bekäme ich aus einem Färbergarten, war mein lapidarer Einstieg. Die Idee sei, dass schon die Farbe und ihre Herkunft Träger einer Idee sei oder besser Farbe bereits Kulturteil. So sei zum Beispiel Lippenstift aus marokkanischem Mohn, afrikanischem Wildbienenwachs und arkadischem Öl herzustellen, cooler als einfach nur im Kaufhaus gegen ein Paar Euro einen Stick zu kaufen.

Make-up aus dem Färbergarten

Ich weiß im Nachhinein nicht ob die Kurzerklärung „cooler“ die beiden Untoten ansprach oder die Möglichkeit ihre Kultur noch mehr präzisieren zu können, wenn sie mit diesem Kreativen mal einen seiner Gärten besuchen würden. Jedenfalls verfielen wir in ein stundenlanges Gespräch über Beinweiß, Mumienbraun, Läuseblutrot, Kajal aus toten Eichen und den „fleur du male“. Eventuell überzeugte sie auch das intensive Rot des bittersüßen Nachtschattens. Die beiden bekamen ganz rote Wangen vor Aufregung, was wieder zeigte, wie sehr die moderne Kosmetik ihre Werbeversprechen nicht halten kann. Des Weiteren konnten wir auch im Verlauf des Gesprächs die Inhaltsstoffe der industriellen Kosmetik nicht nur als gesundheitsschädlich, monopolprofitorientiertes Wirtschaften, kulturlos und sicherlich auch als nicht fairtrade identifizieren.

Beim ersten Date mit den beiden im Färbergarten im Essener Norden auf der Zeche Zollverein, die mit ihrem morbiden Charme die beiden zusätzlich begeistern sollte, kamen direkt acht weitere bleiche Kollegen mit. Rostendes Eisen überwachsen von bleichen Birken und Betonblöcke voller gelber und roter Flechtenrosetten, martialische Dornen auf alten Verbotsschildern einer vergangenen Epoche der Industriekultur – ich sah alles mit einem neuen Blick des „Neoromancers“ oder „Gothic-Members“. Was für ein perfekter Ort für „meine Vampire“! Hier auf dem weitläufigen Gelände haben sie ihre Ruhe und der Färbergarten ist nun auch nachts bestens bewacht. Oh, könnte ich nur mit ihnen fliegen.

Fantastischer kultureller Input

Der gesamtgesellschaftliche Erfolg war gravierend. Zur Extraschicht einer jährlichen Kulturnacht des Ruhrgebiets planen nun schon gewiefte Kulturmanager eine „spooky-night“ mit Lasershow, einem globalen Kaffee-Anbieter als Sponsor und preiswerten Akteuren. Eine örtliche Naturschutzgruppe wähnte den Ort als idealen Standort für Fledermauskästen und Schautafeln.

Die 600 Euro der Ausschreibung gingen mir durch die Lappen, da ich mit dem Projekt schon vor Antragstellung begonnen hatte. Aber sei es drum. Meine Freunde der Nacht finden sicher einen neuen Ort und ich darf bei der Suche helfen. Als Lohn bekam ich einen fantastischen kulturellen Input „eine tolle Story“ und zehn weitere Dialoger, die mittlerweile wissen, dass ich ein Ruhr-Aktivist bin, allzeit bereit: bio, regional, fair und alles zusammen.

 

 

Eine Erinnerung von Peter Reichenbach

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