Alma Mater Regionis Ruranae

1970er/80er Jahre, 2014

Wie eine Flotte von Schiffen, die eine gewaltige Kraft dorthin katapultiert hat, liegt meine Alma Mater, die Ruhr-Universität Bochum auf den Ruhrhöhen im Bochumer Süden.
Nähere ich mich heute diesem im Stil des Brutalismus gebauten Komplex, dann denke ich, dass der Name dieses Architekturstils nicht von dem französischen „béton brut“ („roher Beton“, d.h. Sichtbeton) abgeleitet ist, sondern von brutal: Nichts wirkt(e) hier anheimelnd oder lädt zum Verweilen ein, eine Ausnahme war und ist der Raum der Studentenvertretung (Fachschaft) Physik.
Unter dem Aspekt „Strukturwandel“ stellt die RUB für mich einen Quantensprung dar, wurde doch nicht die Herstellung alter Produkte durch die Herstellung neuerer Produkte (Kohle durch Autos, Fernseher durch Mobiltelefone) abgelöst, sondern hier entstanden völlig neu Arbeitsplätze in Wissenschaft und Forschung, hier wurden in der Region nie vorher dagewesene Bildungsmöglichkeiten geschaffen!
Hier habe ich in den 1970er/80er Jahren Physik studiert, hier war ich nach dem Diplom noch einige Zeit angestellt.
Zu meiner Zeit waren die Gebäude noch durchgehend grau (der Anstrich erfolgte erst ab Mitte der 80er Jahre), was mir bei Sonnenschein noch „brutaler“ erschien als bei Regen. Dem Grau ein wenig abzuhelfen, erschienen etwa 1980 einige Physikstudenten (zu _innen s. u.) mit Pinseln und Farbe in der Eingangshalle NB02 und malten die Wände bunt an. Das Ergebnis der Malaktion blieb über Jahre erhalten, ist aber heute verschwunden.
In den Semestern des Grundstudiums konnte ich das Attribut Massenuniversität hautnah spüren: Massen junger Leute, die in riesigen Hörsälen saßen, die in die Mensa strömten, die morgens von der Straßenbahnhaltestelle zur Uni und nachmittags wieder zurück zur zur Haltestelle liefen. Statt der heutigen U-Bahn verkehrte damals noch eine Straßenbahnlinie mit altertümlichen Wagen zwischen der Uni und der Innenstadt. Verspätungen waren die Regel. Vor Fertigstellung der heutigen Fußgängerbrücke war die Haltestelle nur über Stege und Behelfstreppen zu erreichen.
Nicht in Massen traten damals in der Physik Studentinnen auf und von den Frauen studierten die meisten Physik für das Lehramt. Der Anteil der Diplom-Studentinnen war sehr übersichtlich. Das wirkte sich auch auf das wissenschaftliche Personal aus. Meiner Erinnerung nach gab es zu dieser Zeit nur eine Assistentin und Frauen gar als Professorinnen schienen undenkbar zu sein. Heute gibt es derer drei – ein Fortschritt und auch eine Art von Strukturwandel.
Die Photos habe ich im Februar 2014 gemacht, als ich im Uni-Bereich etwas zu besorgen hatte und das mit einem Besuch im NB-Gebäude verband.
Auch wenn sich viel geändert hat, auch wenn meine Studienzeit Jahrzehnte zurück liegt scheint es mir wie mit dem Hotel California zu sein: „You can check out any time you want but you can never leave.“

Eine Erinnerung von Arne

2 Bewertungen

  1. Sehr sehr interessant zu lesen und für mich auch absolut nachvollziehbar, denn ich war ebenfalls Student der RUB. Ich werde niemals begreifen können, wie man ein derartiges Monster wie diese Universität planen und bauen konnte. Es heißt, es sei eine Lüge oder ein boshafter Mythos, dass hier einst die höchst Selbstmordrate unter Deutschlands Studenten festgestellt worden sei, aber vorstellen könnte ich mir das bis heute noch. Diese Betonkästen da auf der grünen Wiese sind ein Hort der Depression. Das Eagles-Zitat ist ein Volltreffer.

  2. Ort der Befreiung und Freiheit

    Der Schiffsvergleich trifft sehr gut. Nicht nur das Aussehen der Gebäude. Das In-See-Stechen klingt da nach: Aufbruch. So ist die RUB eben auch ein Aufbruchsort. Als Student dort habe ich es so in den 70ern des vorigen Jahrhunderts empfunden. Nach einer Schulzeit, die sich durch Beschränkung und Gängelung auszeichnete, habe ich die Uni-Zeit als eine Zeit des Loslegens erlebt: freie Diskussion, wildes Denken, Neues wahrnehmen, Wissen erwerben. (Ich habe an der RUB Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert, mit der Promotion abgeschlossen). Dann kam dazu, dass – ich in Bochum wohnend -, jede Menge neuer Leute kennengelernt habe. Für mich ist die RUB ein wichtiger Ort in meinem Leben – der Ort einer Befreiung.

    Ulrich Erker-Sonnabend

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